Impulspapier des Städtetags Baden-Württemberg: Coronakrise – Wie geht es weiter nach dem 19. April 2020?

Vor vier Wochen hat die Landesregierung Baden-Württemberg die ersten rigiden Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus Sars-CoV-2 ergriffen, die in der Zwischenzeit mit einem täglich wachsenden Risiko für die Wirtschaft aber auch für das Zusammenleben der Menschen in unserem Land zur Kontaktsperre bis zum 19. April 2020 verschärft werden mussten. Alle Bundesländer haben dies gemeinsam mit der Bundeskanzlerin beschlossen und weitgehend einheitlich vollzogen. Eine öffentliche Diskussion der Frage, wie es nach dem 19. April 2020 mit Schulschließungen, Einschränkungen bei Gaststätten und kirchlichen und anderen Veranstaltungen, mit dem öffentlichen Leben im Allgemeinen in diesem Land weitergehen kann, hat längst begonnen und muss absehbar beantwortet werden.

Es kann und muss dabei nicht primär um die Frage gehen, wann die Öffnung beginnt. Dies sollte einheitlich für ganz Deutschland unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Prognosen geschehen. Dabei wird es kein einfaches Zurück zum Status Quo Ante geben, wie die Bundeskanzlerin verdeutlicht hat, sondern um ein Stufenkonzept für die unterschiedlichen Sektoren. Die Akteure in dieser Situation sollten darlegen, wie eine solche Öffnung in den Bereichen gestaltet werden kann, in denen sie sich besonders betroffen sehen. Denn die gesellschaftliche Akzeptanz der Mittel zur Eindämmung des Virus kann nicht auf Dauer von oben verordnet werden, sondern muss aus der respektvollen Abwägung verschiedener Szenarien wachsen.

Akzeptanz setzt Anhörung oder Einbeziehung voraus. Da auf der Ebene der Kommunen die meisten Lebensbereiche berührt sind, gewinnen Städte und Gemeinden ein gutes Bild über Akzeptanz in der Zivilgesellschaft und haben den besten Überblick über die organisatorischen Notwendigkeiten bei einem schrittweisen Übergang in eine „Normalität mit der Pandemie“.

1. Ausgangslage aus epidemiologischer Sicht

Zunächst wurde postuliert, dass mindestens eine Verdoppelungszeit für Neuinfektionen von 10 Tagen erreicht sein müsse, bevor man weiter nachdenken könne. Dieses Ziel hat die Bundeskanzlerin zuletzt auf 12-14 Tage mit Blick auf die längere Behandlungsdauer von schwerkranken Corona-Patienten und die damit verbundene Belastung des Gesundheitssystems angehoben, um trotz wahrscheinlich mehrmonatiger Fortdauer der Pandemie die Überlastung des Systems zu verhindern. Inzwischen scheint es für den Augenblick gelungen, die Kurve der schweren Infektionen so niedrig zu halten, dass ausreichend Kapazitäten zur Verfügung stehen bzw. geschaffen werden können. Leider lassen sich keine verlässlichen Zahlen aus der Wirkungsweise der unterschiedlichen Stufen der Einschränkungen herleiten, weil diese für eine wissenschaftlich haltbare Analyse zu kurz aufeinanderfolgten.

Dennoch zeigt ein Blick auf die Zahl der neuen Fälle in Baden-Württemberg eine gewisse Tendenz.

Aus der Entwicklung bestätigter Fälle nach dem Lagebericht des IVwS vom 10.4.2020 könnten sich gewisse Stufen ablesen lassen. Am 11.3.2020 wurden erstmal mehr als 100 Infizierte verzeichnet, am 17.3.2020 erstmal über 500 und pendelte sich in der darauffolgenden Woche auf durchschnittlich 705 Fälle ein. Am 23.3.2020, gab es erstmals über 1.000 Infizierte, in der Zeit bis zum 4.4.2020 durchschnittlich täglich 1.098 Neuinfektionen. Die relativ hohen Schwankungen dürften darauf zurückzuführen sein, dass an den Wochenenden wenig getestet bzw. ausgewertet wurde.

Interessant ist, dass am 5.4.2020 die Zahl von 1.335 am Vortag auf 772 gemeldete Fälle rapide abfiel und sich in der vergangenen Woche bei durchschnittlich 757 Fällen eingependelt hat bei vergleichsweise geringeren Schwankungen.

Diese Entwicklung könnte so interpretiert werden, dass die mit der durch die Corona-Verordnung vom 17.3.2020 erstmals angeordneten Schulschließungen, Veranstaltungsverbote und Einschränkungen bei den gastronomischen Angeboten wohl nicht in der Lage waren, das sich langsam exponentiell ausbreitende Virus zu bremsen. Immerhin verharrte die Zahl der Neuinfektionen (nur) auf hohem Niveau, während sich nach der zweiten Phase, gekennzeichnet durch das Inkrafttreten der bundesweiten Kontaktsperren am 21.3.2020, wohl eine Wirkung ablesen lassen könnte. Diese trat 14 Tage nach Inkrafttreten ein. Das RKI geht zwar nur von einer Inkubationszeit von 5-6 Tagen (Median) aus. Die Zeit zwischen Symptomatik, Meldung, Testung, Analyse und Meldung an das LGA muss jedoch hinzugerechnet werden. Auch in Wuhan waren Rückläufe bei den gemeldeten Infektionen erst 16 Tage nach dem Shutdown zu verzeichnen. Deutschland steht besser da als viele andere Länder. Durch das neu eingeführte bundesweite Register für Beatmungskapazitäten, an dem sich jetzt alle Akutkrankenhäuser zu beteiligen haben, werden Kapazitäten gesteuert. Im Übrigen stehen in den meisten Regionen von Baden-Württemberg durchaus derzeit Krankenhausbetten auch auf den Intensivstationen leer, weil man dies gezielt durch Verschiebung anderer OPs angesteuert hat.
Inzwischen zeigen die Zahlen für BW und wohl auch für die Bundesrepublik, dass sich die Replikationsrate auf R0<1 bewegt und die Zahl der Infizierten nicht weiter steigt, sondern unter Berücksichtigung der Genesenen zu sinken beginnt. Diese Entwicklung bedeutet, dass sich der Shutdown gelohnt hat, nun aber alle weiteren Maßnahmen darauf ausgerichtet sein müssen, die Zahl der Neuinfektionen nicht exponentiell steigen zu lassen. Schließt man sich dem o.g. Interpretationsversuch an, reichen Schulschließungen und Veranstaltungsverbote allein jedenfalls nicht aus. Maßnahmen müssen sich immer an dem Ziel orientieren, durch etwaige Erkrankungen nicht das Gesundheitssystem zu überlasten und dadurch neue Gefahren für die Erkrankten herbeizuführen.
An dieser Stelle ist eine differenzierende Betrachtung je nach Alterskohorte angezeigt. Eine erhebliche Steigerung der aktiven Infektionsfälle in der Gruppe der Älteren, insbesondere der über 70jährigen, könnte bald zu einer Überlastung der Intensiv- und Beatmungskapazitäten führen.

Je effizienter neue Maßnahmen die negativen Wirkungen von Lockerungen ausgleichen können, desto weniger gravierend müssen Differenzierungen der Regelungen nach Alter ausfallen. Nach wie vor wissenschaftlich wohl nicht ausdiskutiert ist, ob eine Immunisierung durch Infektion Teil einer Strategie sein sollte oder die Minderung des Infektionsgeschehens weiter im Vordergrund steht.
Da bei jüngeren Menschen selten schwere Verläufe von COVID 19 beobachtet wurden, würde es bei Ihnen möglich, ihnen mehr Freiheiten zuzugestehen, wenn es dafür sinnvolle und gesellschaftlich akzeptierte Differenzierungsmöglichkeiten gibt, z.B. mit der vielfach diskutierten Corona-App. Ältere Menschen hingegen tragen jedoch nach allgemeiner Einschätzung ein höheres Risiko schwerer Krankheitsverläufe und müssten deshalb wirksamer geschützt werden. Abgesehen von dieser statistisch-medizinischen Betrachtung geht es hier natürlich um eine ethische und gesellschaftspolitische Dimension.

2. Gesellschaftliche Akzeptanz und die Rolle der Zivilgesellschaft

Neben der reinen Betrachtung von Zahlen und Infektionszusammenhängen hat die Diskussion über die gesellschaftliche Dimension erst zaghaft begonnen. Angesichts der Wucht der Pandemie wird bisher kaum in Frage gestellt, dass die harten Maßnahmen notwendig und legitim sind. Auch die Rechtsprechung hat sie bisher weitgehend bestätigt. Nur das Verbot jeglicher Osterausflüge von Einheimischen in Mecklenburg-Vorpommern, welches es bei uns nicht gibt, wurde vom OVG Greifswald aufgehoben. Interessant ist, dass nach Umfragen die große Mehrheit der Bevölkerung diese Maßnahmen bisher akzeptiert, aber hinsichtlich der Nutzung einer datenschutzkonformen App Bedenken hegt. Hier also beginnt nun eine gesellschaftliche Debatte, die nun nachgeholt werden muss, da eine Diskussion um Öffnungsszenarien nicht angezeigt erschien. In der kommenden Phase muss es gelingen, den Status einer passiven Regelbefolgung hin zu einer aktiven Solidargemeinschaft zu verändern. Längerfristige Einschränkungen erfordern die aktive Einbindung und Mitgestaltung durch die Zivilgesellschaft. Das bedeutet nicht, dass Entscheidungen der Exekutive vertagt oder verändert werden müssen. Aber gerade bei der Frage von Lockerungen und Exitstrategien sind der Dialog und das Zuhören wichtig, zumal es in der nächsten Phase auch um gezielte Ungleichbehandlung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen gehen wird.

Wenn aus den dargestellten medizinischen Gründen heraus die Risikogruppe der Älteren und Hochaltrigen sowie der Menschen mit Vorerkrankungen stärker in ihrer Mobilität eingeschränkt werden sollen als der Rest der Bevölkerung, sollte nicht nur davon gesprochen werden, sie (passiv) zu schützen und zu versorgen. Vielmehr geht es darum, diese Menschen je länger je mehr zu selbstverantwortlichen Akteuren ihres eigenen Schutzes zu machen, ihr Verständnis und ihre Zustimmung zu gewinnen und ihnen Handlungsspielräume zu eröffnen. Dies gilt umso mehr, wenn auf Empfehlungen und weniger auf Verbote gesetzt wird.

Dies gilt in gleicher Weise für die Gesamtheit der Bevölkerung, wenn man beispielsweise Maßnahmen wie die freiwillige Nutzung der Corona-App umsetzen will oder Akzeptanz für eine (Teil-)Verpflichtung sucht.

3. Szenarien zur allmählichen Lockerung der Kontaktsperre

Alle sind sich einig, dass die derzeitige Situation mit einem weitgehenden Shutdown des öffentlichen Lebens nicht lange durchzuhalten ist.

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat am 3. April 2020 eine zweite Ad-hoc-Stellungnahme mit dem Titel „Coronavirus-Pandemie – Gesundheitsrelevante Maßnahmen“ veröffentlicht. Das Papier konzentriert sich auf gesundheitsrelevante Maßnahmen, die zu einer schrittweisen Normalisierung des öffentlichen Lebens beitragen können.

Drei werden als besonders wichtig erachtet:
1. flächendeckende Nutzung von Mund-Nasen-Schutz, 2. kurzfristige Verwendung mobiler Daten und 3. Ausbau der Testkapazitäten.

Die Leopoldina verweist darauf, dass gesellschaftliche und ökonomische Folgen berücksichtigt und in die Entscheidungen einbezogen werden müssen und arbeitet derzeit an einer weiteren Stellungnahme mit Empfehlungen für ein nachhaltiges „Wiederhochfahren“ des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft. Interessante und nachdenkliche Beiträge in den Medien beschäftigen sich damit. Nicht nur der Ruf nach einer Verhinderung langfristiger Ökonomischer Schäden gebietet die schrittweise Öffnung des öffentlichen Lebens. Dabei geht es nicht um einen „Exit“ aus den Eindämmungsmaßnahmen, sondern um einen Ersatz flächiger Kontaktverbote und Schließungen, durch Maßnahmen eines wirksameren Verfolgung der Neuinfektionen und durch effizientere Schutz-Maßnahmen für solche Patienten, bei denen mit schweren Verläufen zu rechnen ist. Der Städtetag Baden-Württemberg hat mit den Fachleuten aus seiner Mitgliedschaft und den Bürgermeistern und Oberbürgermeistern diskutiert, wie diese Frage aus Sicht der Städte zu beantworten wäre. Das Ergebnis beansprucht keine wissenschaftliche Genauigkeit, sondern versteht sich als Bericht aus der kommunalen Praxis. Diese geht durchweg davon aus, dass man mit der Wirtschaft beginnen müsse, Kita und Schule dem folgen könnten und größere Veranstaltungen auf längere Sicht nicht möglich sein werden. Beim Sport sollte differenziert werden hinsichtlich der Kontaktintensität und beim Tourismus wird das Thema Gruppenreisen etc als besonders schwierig angesehen. Eine besondere Betrachtung ist der generationengerechten Differenzierung gewidmet.

Ferner sind bei der Differenzierung von Maßnahmen zwei Dimensionen zu berücksichtigen:

Die Wahrscheinlichkeit vieler unterschiedlicher und naher Kontakte einerseits und die Erforderlichkeit/Bedeutung der Aktivitäten. Im Einzelnen sind hierzu bereits sehr differenzierte Überlegungen angestellt worden. Insbesondere sei verwiesen auf die unter Einbeziehung von medizinischen Experten entwickelte Heidelberger Stufenkonzeption, die in der Anlage beigefügt ist.

a) Einzelhandel und Gastronomie

Bei allen Äußerungen steht wie erwartet der dringende Wunsch im Vordergrund, als erstes den kleinen mittelständischen Gewerbetreibenden die Rückkehr an den Markt zu ermöglichen. Hier ist die Gefahr am größten, dass sie eine längere Schließzeit nicht überstehen, Gleichzeitig hat die Krise das Bewusstsein geschärft, dass Einzelhandel und Gastronomie der Lebensnerv unserer Innenstädte sind. Während größere Betriebe schrittweise OnlineKapazitäten aufbauen können und dabei auch Erfolge erzielen, die künftig als hybride Angebote bestehen können, ist dies für den kleinen Einzelhandel kaum möglich und für die klassische Gastronomie gar nicht.

Es besteht Einigkeit, dass eine schrittweise Öffnung von flankierenden Maßnahmen begleitet sein muss. Dabei kann es um allgemeine Maßnahmen des Gesundheitsschutzes gehen, wie im Folgenden erörtert wird. Es muss bei Einzelhandel und Gastronomie darüber hinaus spartenbezogene Maßnahmen geben wie Hinweise zur Umsetzung der Abstandsregeln und quantitative Aufenthaltsbeschränkungen wie etwa die Zahl der Kunden pro Quadratmeter Verkaufsfläche etc. Dabei sind die Akteure der Selbstorganisation der Wirtschaft wichtige Partner.

Die Heidelberger Stufenkonzeption schlägt vor, in einer ersten Stufe ab dem 20. April 2020 den Einzelhandel allgemein wieder zu öffnen, dabei bezüglich der Auflagen über die bei bisher schon geöffneten Geschäften angeordneten Maßnahmen hinauszugehen und diese dabei einzubeziehen. Vorgeschlagen werden obligatorischer Mund- und Nasenschutz, eine Beschränkung bezüglich der Kundenfrequenz (1 Kunde pro 20 qm Verkaufsfläche), bei Verkaufsflächen von mehr als 500 qm Eingangskontrolle, Sicherheitsabstand von 1.5 m und zusätzliche Abstände an den Kassen zum Schutz der KassiererInnen. Für die Gastronomie wird an dieser Stelle vorgeschlagen, verpflichtend höchstens jeden zweiten Tisch zu besetzen, mindestens 2 m Abstand zum Nachbartisch einzuhalten bzw. nur je einen Tisch pro 20 qm vorzusehen. Dabei sollten höchstens 4 Personen pro Tisch erlaubt sein oder bei langen Tischen 2 m Abstand einzuhalten zwischen den Gästen. MNS – Pflicht gilt für das Bedienpersonal, für Gäste, bis sie am Tisch sitzen. Selbstbedienung oder Büffets sollen nicht erlaubt sein.

Zu betrachten sind hier auch unterschiedliche Typologien. Was im Café sinnvoll sein mag, ist im Restaurant vielleicht anders umsetzbar und in der Bar gar nicht. In jedem Fall sind bei der Festlegung der Kategorien die betroffenen Verbände (Einzelhandelsverband,Dehoga etc) einzubeziehen und um ihre aktive Mitwirkung zu bitten. Denn jedwede Kontrolle der Maßnahmen muss vorrangig durch die Betriebe dargestellt werden. Sie müssen zur Einhaltung verpflichtet werden und die Maßnahmen gegenüber der Kundschaft durchsetzen.

Mit dieser Zielsetzung haben sowohl das Bundesinnenministerium als auch die IHK RheinNeckar Ansätze entwickelt, die sich mit der schrittweisen und differenzierten Öffnung bzw. Wiederhochfahren der Wirtschaft befassen. Die Grundidee ist, dass der Staat nicht im Vorhinein pauschal festlegen soll, welche Branchen bzw. Geschäftstypen ihren Geschäftsbetrieb wann wieder aufnehmen dürfen und welche nicht. Stattdessen müssen die einzelnen Geschäfte auf Basis eines Zertifizierten Schutzsystems infektionsschützende Kriterien erfüllen, damit ein Betrieb genehmigt wird. (Ausnahme: systemrelevante Betriebe, bei der Erfüllung der Kriterien nicht möglich). Nach dem Vorbild von Brandschutzkonzepten betrieblichen Katastrophenschutzplänen erstellt jeder Betrieb einen eigenen Infektionsschutzplan und benennt einen Infektionsschutzbeauftragten, der für dessen Einhaltung verantwortlich ist. Es ist ferner Aufgabe der kommunalen Ordnungsdienste, durch algorithmisch gesteuerte Stichproben die Einhaltung dieser Infektionsschutzpläne zu gewährleisten.

b) Kitas und Schulen

Allgemein wird die Auffassung vertreten bzw akzeptiert, dass die flächige Aufhebung der Schulschließungen verfrüht wäre. Es wird empfohlen, zunächst nur für die Prüfungsjahrgänge den Schulbetrieb aufzunehmen. Hier wäre auch eine Erweiterung um ein bis zwei Klassen-Stufen denkbar.

Einlasskontrolle, Mundschutz und Abstandsregeln werden vorausgesetzt und dürften in diesen Altersgruppen umsetzbar sein.

Die Berufsschulen könnten grundsätzlich öffnen. In den beruflichen Schulen wird zwar befürchtet, dass die Kapazitäten hierfür nicht ausreichen werden, wenn die Vorgaben des Infektionsschutzes wie insbesondere Abstandsgebote etc zu beachten sind. Für diese wichtigen Ereignisse in einer wenig vulnerablen Gruppe wird man das vielleicht hinzunehmen haben unter Auflagen. Jedenfalls gilt auch hier, dass die Maßnahmen unter Einbeziehung der Betroffenen zu erfolgen hat.
Insbesondere bei den Kindern hingegen sind das Abstandsgebot und das Tragen von Masken kaum durchzusetzen.

Im Übrigen benötigt ein umfassendes Hochfahren der Schülerbeförderung eine Vorlaufzeit von 1-2 Wochen, zumal auch hier die Abstandsfrage zu klären ist.
Es wird vorgeschlagen, die Kitas und Grundschulen länger geschlossen zu halten, um in dieser Phase die Wirksamkeit der Ersatzmaßnahmen in anderen Bereichen zu beobachten und evtl. die Zahl aktiver Fälle weiter zu senken.

Die Kindertagesstätten werden aber deutlich stärker belegt werden müssen, da die Nachfrage aus den kritischen Bereichen steigt und diese evtl. auch erweitert werden müssen. Das System der Notbetreuung sollte somit in ein Konzept 'Notbetreuung Plus' ausgeweitet werden. Alle Städte rechnen damit, dass sich nach dem 20.4.2020, jedenfalls parallel zur Wiederbelebung von Einzelhandel und Gastronomie die Betreuungszahlen in den Kindertageseinrichtungen auch unter Beibehaltung der jetzigen Zugangsregeln stark ausweiten werden. Bisher haben auch Eltern aus der kritischen Infrastruktur teilweise auf die Betreuung verzichtet.

In einer ersten1-2 wöchigen Phase sollte beobachtet werden, wie sich die Inanspruchnahme entwickelt, wobei die „schwerwiegenden Gründe“ in „besondere Gründe“ bei berufstätigen Eltern geändert werden könnten, um ihnen die notwendige Ganztagesbetreuung zu sichern. Kinder aus Kindeswohlgefährdung sind wie bisher aufzunehmen. In der nächsten Phase könnten die Zugangsregeln angepasst oder generell die Kapazität hochgefahren werden unter Berücksichtigung gewisser Grenzen. Diese ergeben sich zum einen daraus, dass in einigen Einrichtungen bis zu 30 % Betreuungspersonal fehlt, weil es selbst zu den vulnerablen Personen gehört. Zusätzlich sind die Gruppengrößen zu reduzieren. Die Stadt Mannheim hat hierfür eine maximale Gruppengröße von 12 Kindern in KiGa und Hort sowie von 6 Kindern für den Krippenbereich vorgeschlagen. Auf offene Gruppenkonzepte ist zu verzichten, um eine Vermischung der Gruppen zu verhindern. Dasselbe gilt für das Fachpersonal.

Für die Grundschulen sollte zunächst nur der - wie bei den Kitas – langsam erweiterte Notbetrieb eingeführt werden. Je nach Umfang der Inanspruchnahme wird auch ein anderes Wiedereinstiegsszenario diskutiert. Dabei würde jede Grundschulklasse in 5 Gruppen eingeteilt, die jeweils an einem Tag der Woche beschult und in den Hauptfächern unterrichtet werden. Während dieses Tages würden die SuS Aufgaben für den Rest der Woche erhalten. Bei Szenarien solcher Art ist aber zu bedenken, dass die Komplexität der Steuerung für alle Beteiligten sprunghaft erhöht wird und zusammen mit den indirekten Folgen für Eltern und Unternehmen das Ganze schwer administrierbar wird. Auch die Notbetreuung wäre parallel weiterzuführen, - eine anspruchsvolle Organisationsaufgabe, um die Verfügbarkeit der Lehrkräfte zu sichern. Insgesamt bedarf es, wie im Kita-Bereich, auch einer längerfristigen Prognose, wie sich die hohen Anteile der vulnerablen Personen erklären.

c) Hochschulen

Aus kommunaler Sicht gilt hier Ähnliches wie für die Abschlussklassen. Eine Minderung der Präsenzveranstaltungen ist in diesem Bereich sicher möglich und wurde in den Hochschulen, die keine Semesterferien haben, bereits auf den Weg gebracht.

Auch für Hochschulen scheint das Modell der eigenverantwortlichen Erstellung eines Infektionsschutzplans zielführend. Jede Hochschule kann die kritischen Punkte einschätzen und gegebenenfalls ausräumen, wenn der Staat klare Vorgaben hinsichtlich Abstand und Dichte am Arbeitsplatz, in der Vorlesung und im Seminar macht. Die Hochschulen haben in den vergangenen Monaten begonnen, Vorlesungsmodule aufzuzeichnen und stellen fest, dass es zwar etwas schwieriger ist, Studierende zu motivieren, ein Vorteil aber darin liegt, dass die Vorlesung jederzeit wieder abrufbar ist.

d) Kirchen und Religionsgemeinschaften

Das hohe Gut verfassungsrechtlich garantierter Religionsfreiheit gebietet, auch das strenge Gottesdienstverbot zu lockern. Den Kirchen und Glaubensgemeinschaften ist aufzugeben, ebenfalls für jede Einrichtung ein Infektionsschutzkonzept zu erarbeiten und zu überwachen. Dabei gelten dieselben infektionsschutzrechtlichen Anforderungen wie bei sonstigen Ansammlungen oder Kontakten im öffentlichen Raum. Mit dieser Maßgabe könnten kirchliche Veranstaltungen durchgeführt werden.

e) Tourismus

Der Bereich des Tourismus ist in weiten Teilen des Landes von ähnlich hoher Bedeutung wie Einzelhandel und die städtische Gastronomie. Auch hier sind kritische Betriebsgrößen, deren Überleben bei weiter andauernden Schließungen gefährdet wäre.

Das Heidelberger Stufenkonzept sieht für Hotels die Öffnung unter vergleichbaren Auflagen wie bei der übrigen Gastronomie vor. Das erscheint für Einzelreisende plausibel. Für Gruppenreisen sollte Rahmenbedingungen diskutiert werden, deren Umsetzung dann auch hier mittels betriebsbezogener Infektionsschutzpläne möglich ist.

Ein Öffnungskonzept müsste sich generell an den epidemiologischen Erkenntnissen orientieren, welche Aspekte des Reisens sich als Treiber erwiesen haben und ob es ausgleichende Mechanismen und Auflagen geben kann. In diesem Feld könnte auch eine Altersdifferenzierung eine Rolle spielen. Insbesondere bei Reisegruppen ist auf die für den regionalen Tourismus wichtige Gruppe der „fitten“ Senioren einzugehen.

Ein wichtiger Aspekt sind überregionale Fortbildungen, Kongresse, Messen. Hier ist nach Teilnehmerzahl – Dauer – Interaktion als relevanten Faktoren zu differenzieren. Bis zum Sommer dürften Kongresse und Messen ausgeschlossen sein. Ermöglichen könnte man aber Einzelveranstaltungen mit begrenzter Teilnehmerzahl und ohne Formate wie Empfänge u.ä..

f) Sport

Breiten Raum nimmt in den Kommunen die Frage der Lockerung bei sportlichen Aktivitäten ein. Vorgeschlagen wird, hier grundsätzlich Einzelsportarten ohne Körperkontakt unter Auflagen zuzulassen und die Gruppen- und Mannschaftssportarten eher an der Wiederinbetriebnahme der Schulen zu orientieren. Auch das Heidelberger Stufenkonzept hat sich differenziert mit den Möglichkeiten einer stufenweisen Lockerung im Sport auseinandergesetzt. Zum einen handelt es sich insbesondere bei jugendlichen Sportlern um dieselben Gruppen. Allerdings findet durch Vereinssport eine starke Durchmischung der Infektionsketten statt, die wiederum allenfalls bei Nutzung der App hingenommen werden sollte. Ferner sollten in einer 1. Phase die Hallen geschlossen bleiben und in der 2. Stufe nach denselben Kriterien geöffnet werden wie sie auf Wirtschaftsbetriebe anzuwenden sind. Auch Vereine könnten ein Infektionsschutzkonzept aufsetzen.

Ähnliche Anforderungen könnten an die stufenweise Öffnung von Fitnessstudios und Schwimmbäder gestellt werden. Während letztere zunächst geschlossen bleiben, würde in der zweiten Stufe entsprechend der Empfehlung der DLRG eine Belegung von max. 1 Badegast pro 4,5 qm im Schwimmerbecken und von 2,7 qm im Nichtschwimmerbereich erfolgen können.

g) Kulturangebote und -veranstaltungen

Bei den außerschulischen Bildungsangeboten könnte den berufsbezogenen Fortbildungen Vorrang vor freizeitbezogenen Angeboten gegeben werden. Hinsichtlich von Kulturveranstaltungen iwS sollte über eine differenzierte Vorgehensweise nachgedacht werden. Wenn bestätigt wird, dass die landesweiten Maßnahmen mir der ersten Fassung der Coronaverordnung vom 17.3.2020 Wirkung gezeigt haben, müsste es möglich sein, mit kleineren Veranstaltungen zu beginnen oder Vorkehrungen durch Gestaltung und Sitzordnung vorzunehmen. So könnten Perspektiven für die Kommunaltheater aufzuzeigen sein.

Festivals und andere Veranstaltungen mit großer Besucherdichte werden wohl bis auf weiteres ausgeschlossen sein. Eine Öffnung der Museen analog zu Regelungen des Einzelhandels wären ebenso in einer ersten Phase denkbar. Je nach Größe der Häuser wären Beschränkung der Zahl der BesucherInnen und hygienische Vorgaben wie Mund-Nasen-Schutz ausreichend, zumal die ohnehin gewährleistete Aufsicht in den Ausstellungsräumen die Einhaltung der Abstandregeln sichert. Gegebenenfalls braucht es dazu auch einen gewissen Vorlauf, der sich mit dem stufenweisen Aufbau decken würde.

Die Intention dieses Impulspapiers geht vor allem dahin, die Diskussion um die Abfolge und Bedingungen von Wiedereröffnungen zu befördern und auch zu verdeutlichen, dass für die meisten der genannten Bereiche – insbesondere für den Bereich der Kulturwirtschaft in gleicher Weise wie für die kleinen Gewerbetreibenden – Existenzen auf dem Spiel stehen, für welche die jetzt beschlossenen Stützungsmaßnahmen auf längere Sicht nicht reichen, obwohl bereits einige Städte sich gezwungen sehen, vor Ort eigene Lösungsansätze zu entwickeln. Das gilt insbesondere für Veranstaltungshäuser und Kinos, also klassisch mittelständischen Unternehmen.

h) Veranstaltungen im öffentlichen Raum

Bei Veranstaltungen im öffentlichen Raum müsste man wohl aus verfassungsrechtlichen Gründen Demonstrationen und Kundgebungen eher zulassen als alle anderen Veranstaltungen, wenn Abstandsregeln gesichert werden.

Es erscheint vertretbar, alle anderen Veranstaltungen im öffentlichen Raum zunächst weiter auszuschließen und in privaten Räumen/Geländen nur Sitzungen, Unterricht und Sporttreiben und bis max. 20 Personen zuzulassen.

Etwaige Grenzen der Teilnehmerzahlen sollten mit den Epidemiologen nochmals diskutiert werden auch unter Berücksichtigung der Wirkung von Auflagen wie insbesondere Mundschutz. Dabei dürfte es auch darauf ankommen, inwieweit die Einhaltung von Abstandsregeln möglich ist und wie gut sie überwacht werden können. So sind namentlich Konzertveranstaltungen mit Bestuhlung gut überprüfbar. Manche Festivals hingegen leben von der Nähe der BesucherInnen und so gehörten Karneval und OpenAir-Gottesdienste zu den Ereignissen mit dem höchsten Ansteckungspotenzial.

i) Mobilität I – Pandemiebekämpfung über Grenzen hinweg

Die rasante Ausbreitung des Virus ist nicht zuletzt eine Folge der Mobilität unserer Gesellschaft. Die jeweils erste Infektionskette in weiteren Ländern war eine Folge von privater oder beruflicher Mobiltät. Ob Skiurlauber oder Konferenzteilnehmerin, sie haben Corona über die Grenzen eingebracht. Die Staaten reagieren mit Grenzschließungen, weil sich die Gesundheitssysteme anders nicht dieser Herausforderung gewachsen sehen.

In Baden-Württemberg , aber auch in anderen Bundesländern haben die Grenzschließungen zu nahezu unlösbaren Alltagsproblemen geführt. Zwar hat man mit Passierscheinen für Grenzgänger einen operativ gangbaren Weg gefunden. Man kann jedoch weder logisch erklären, wie Berufspendler einerseits und Quarantäneerfordernis andererseits zueinander passen, noch entspricht es dem Lebensgefühl der Menschen an diesen sonst so offenen Grenzen. Die schrittweise Öffnung des öffentlichen Lebens diesseits und jenseits der Grenze zu Frankreich und zur Schweiz muss für die Fragen des Alltags und des Gesundheitsschutzes ein grenzüberschreitendes Management versuchen.

Dabei geht es nicht nur um das übergeordnete Ziel europäischer Solidarität, was für sich genommen eine zentrale Anforderung an die deutsche Politik auch in Zeiten der Pandemie sein muss. Die Bereitstellung von Beatmungskapazität in deutschen Kliniken für elsässische Patienten war ein wichtiges Zeichen. Es geht künftig aber auch um nachvollziehbare Maßnahmen und ein gemeinsames Verständnis von Schutzmaßnahmen in Grenzräumen. Akzeptanz für Einschränkungen setzt ein Minimum ein Gemeinsamkeit voraus und kann nicht durch neue Grenzzäune erreicht werden.

j) Mobilität II – Gesundheitsschutz im öffentlichen Nahverkehr

In den letzten Jahren war es zum Selbstverständnis guter Politik geworden, den öffentlichen Nahverkehr als die bessere Mobilität zu fördern. Auch wenn die Gründe dafür weiterhin gelten, wird es kaum zu vermeiden sein, dass viele Menschen das Auto für Reisen wieder als die bessere, weil sichere Alternative ansehen werden. Noch sind Züge und Busse leer, weil die Berufspendler und Schüler fehlen. Sobald sich das ändert, wird die oft drangvolle Enge in der Rush hour, aber selbst die Nähe zum Sitznachbarn in Bus, Bahn und Flugzeug für viele Menschen eine Bedrohung darstellen.

Zumindest eine Mundschutzpflicht für öffentliche Verkehrsmittel wird nicht zu umgehen sein. Schwieriger wird es bei den Abstandsregeln. Es ist kaum möglich, diese wirklich zu garantieren, wenn alle Pendler wieder zur Arbeit gehen. Um die Akzeptanz der Abstandsregel insgesamt nicht zu gefährden, wird es einer eingehenden, erklärenden Debatte, insbesondere auch mit Hinweisen der Wissenschaft, bedürfen.

4. Maßnahmen des Gesundheitsschutzes

Dem Städtetag ist klar, dass eine schrittweise Öffnung nicht ohne flankierende Maßnahmen des Gesundheitsschutzes verantwortet werden kann. Die Städte sind bereit, sich dafür aktiv einzusetzen, sehen aber gleichzeitig auch Potenziale für einen wirksamen Einsatz der verschiedenen Maßnahmen, die auch in der Äußerung der Leopoldina angesprochen sind.

Der flächendeckende Einsatz von Mund-Nasen-Schutz gewinnt langsam an Akzeptanz. Dabei ist klar, dass die Bevölkerung nicht den ohnehin nach wie vor raren medizinischen Schutz benötigt, sondern einfache, auch selbst genähte Modelle ausreichen. Denn es geht darum, die Ausbreitung durch eigene, möglicherweise infektiöse Tröpfchenpartikel zu verhindern. Mittlerweile ist durch neuere Studien belegt, dass diese Masken den Fremdschutz signifikant erhöhen, auch wenn der spürbare Schutz für den Träger selbst nicht nachgewiesen ist. Bei der Arbeit, bei persönlicher Begegnung unter 2 m, im öffentlichen Personenverkehr, beim Einkaufen und Besuch von Veranstaltungen, für das Gastronomie-Personal und für Gäste, wenn sie nicht am Tisch sitzen, sollte der Mund-Nasen-Schutz verpflichtend sein. Die Testkapazitäten sind in letzter Zeit ausgebaut worden und in Deutschland vergleichsweise hoch. Für einen flächendeckenden Einsatz wird es absehbar nicht reichen. Deswegen kommt es entscheidend auf die Teststrategie an. Auch hier müssen die Menschen verstehen, warum welche Prioritäten wichtig sind.

Prof. Dr. Christian Drosten von der Charité Berlin berichtet in seinem 27. NDR-Podcast am 3.4.2020 eindrücklich von einem engen Zusammenhang von Infektionsketten und der Möglichkeit, eine App einzusetzen. Zum einen habe eine englische Studie ergeben, dass ca 46 % der Infektionen präsymptomatisch verlaufen, sich also nahezu die Hälfte der Patienten ansteckt, bevor sie Symptome verspüren. Dies dauert 2-3 Tage, in denen sie bereits weitere Menschen anstecken können, da ihnen ja selbst die Erkrankung nicht bekannt ist. Weitere kostbare Zeit vergeht bis zur Testung und Auswertung des PCR. Diese Zahlen zeigen, das im fortgeschrittenen Verlauf der Pandemie ein wirksames Containment durch Nachverfolgung der Infektionen nicht mehr möglich ist, diese Vorgehensweise jedenfalls nicht mehr ausreichend ist.

Die von Bundesgesundheitsminister Spahn zuerst ins Spiel gebracht und dann von einer Gruppe freier Programmierer beschriebene Corona-App könne hier Abhilfe schaffen, wenn sie von ca 60% der Bevölkerung (freiwillig) benutzt werde. Wenn der Nutzer der App signalisiert, er sei erkrankt, meldet sie das an alle diese Personen, die selbst daraus Konsequenzen ziehen können, ohne dass es vom ursprünglichen Nutzer bemerkt wird. Gleichzeitig ist sie in der Lage, den Nutzer bei der Abstrichstelle anzumelden und somit die Zeit bis zur Diagnose zu reduzieren. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, den Zeitpunkt des Beginns von Symptomen als Beginn der Erkrankung zu definieren und die entsprechende Meldung ohne Test auszulösen. Damit müsste sich der Nutzer selbst in Quarantäne begeben und seine Kontaktpersonen ebenfalls. Für den Nutzer selbst würde zwar die Maßnahme erst nach seiner bereits erfolgten Infektion greifen. Seine Kontaktpersonen wären jedoch gewarnt und könnten sich testen lassen, bevor sie selbst infektiös werden. Für sie würde die Quarantäne angeordnet werden.

Vorteil dieses Verfahrens sei laut Drosten, dass eben nur die jeweils „gewarnten“ Personen Beschränkungen hinnehmen müssten, während im Übrigen das Leben weitgehend frei von Beschränkungen ablaufen könne. Die App würde den Weg öffnen für eine Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Aktivitäten, aber auch für ein wieder größeres Maß an persönlicher Freiheit. Einen eigenen Vorteil hätte der frühzeitig gewarnte Nutzer der App auch. Zum einen müsste er natürlich nachträglich getestet werden, was ihm Sicherheit gibt zu einem früheren Zeitpunkt als bisher. Die Nutzung der App würde ihrem Nutzer in der Hierarchie der zu testenden Personen einen signifikanten Vorrang gegenüber anderen Personen mit Symptomen geben. Zudem würde sie ihn selbst schützen können, wenn die Person, bei der er sich infiziert hat, ebenfalls App-Nutzer ist und ihn warnt. Parallel muss perspektivisch durch Antikörpertests nachgewiesen werden, welcher Teil der Bevölkerung bereits immunisiert sei, etwa durch eine vorangegangene unbemerkte Infektion.

5. Akzeptanz für die Corona-App in einer disziplinierten Zivilgesellschaft

Soweit Evidenz für die Wirksamkeit der App als bewusstseinsbildender Schutz und effizienter Containmentstrategie besteht, ist eine verpflichtende Regelung vorstellbar. Die Diskussion darüber hat im politischen Raum begonnen, orientiert sich jedoch bisher an bekannten Argumentationsketten zum allgemeinen Selbstbestimmungsrecht in der Informationsgesellschaft.

Die Gegner einer verpflichtenden Regelung wissen sehr wohl, dass die Angst vor dem Missbrauch in Zeiten nach der Pandemie kein guter Ratgeber sein kann. Es stellt sich die Frage, warum die Politik hier zaghafte agiert als bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen, die ja akzeptiert sind. Es braucht eine gesellschaftliche Debatte an dieser Stelle, die sich am wissenschaftlichen Rat zu orientieren hat und auf die besonderen Wertvorstellungen einer freiheitlichen Gesellschaft eingeht. Denkbar wären hier eventuell auch die Zurverfügungstellung von entsprechenden Geräten (einfache Smartwatch) für Risikogruppen einerseits, verbunden mit einer Verpflichtung, die App zu nutzen. Sinnvoll könnte es sein, neben der regulatorischen Herangehensweise Vorteile mit der Nutzung der App zu verbinden. Das könnte für Menschen in Heimen die Lockerung der Ausgangssperre sein, für alle Bevölkerungsgruppen der Zugang zu den zugelassenen gastronomischen Angeboten oder dem bisher nicht geöffneten Einzelhandel. Gerade auch für Kinder könnte sich eine Corona-Watch anbieten, da diese Gruppe häufig schon von Eltern damit versorgt wird. Diesen Ansatz konsequent weiterzudenken würde bedeuten, dass die Öffnung in weiten Bereichen sogar davon abhängig gemacht werden kann. Es setzt aber voraus, dass die App sehr schnell zur Verfügung steht.

6. Neue Behandlungsmethoden

Weiteres wichtiges Element einer Öffnungsstrategie ist der Schutz vulnerabler Personen.

Im Gespräch mit Prof. Nisar Peter Malik von der Universität Tübingen wurden zwei wichtige Hinweise in Bezug auf den Schutz der Bewohner*innen von Senioren- und Behindertenheimen herausgearbeitet. Zum einen infizieren sich diese Personen vorrangig durch Pflegepersonal. Dieses sollte daher prioritär und präventiv, also asymptomatisch, getestet werden, ähnlich wie Klinikpersonal. Nur so können Infektionen erkannt werden, bevor sie weitergegeben werden.

Interessante Erkenntnisse erhofft man sich von einer Studie an der Universitätsklinik Tübingen zum Einsatz des Malariamittels Chloroquin. Es spricht manches dafür, dass es schwere Verläufe verhindert, wenn es in frühem Stadium verabreicht wird. Wenn sich diese These bewahrheitet, kommt es darauf an, gerade auch bei älteren Menschen Chloroquin einzusetzen, sobald eine Infektion festgestellt wurde, um eine Hospitalisation zu verhindern. Beide Ansätze weitergedacht, würde sich die Sterberate älterer Menschen in Heimen eindämmen lassen ohne das harte Mittel der allgemeinen Kontaktsperre und – mittelfristig auch wieder - auch ohne die für diese Menschen diskutierte und nur schwer erträgliche Ausgangssperre. Letztlich geht es hier um eine ethisch schwierige Abwägung von Gesundheitsvorsorge und Lebensqualität für einen geschlossenen Kreis.

7. Altersdifferenzierung

Immer wieder wird deutlich, dass die medizinischen, epidemiologischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine Altersdifferenzierung erzwingen. Manche Aspekte wie z.B. die unterschiedlichen Behandlungsmethoden sind aus sich verständlich und anerkannt.

Differenzierungen, die die persönliche Freiheit einschränken, werden als Diskriminierung verstanden und rufen entweder Widerspruch der Betroffenen hervor oder werden leicht missachtet. Ein striktes Ausgehverbot für die Gruppe der Senioren dürfte als außerordentlich plumper Ansatz und gravierender Eingriff kaum verfassungsrechtlich und ethisch vertretbar sein. Denn die Gruppe der stärker gefährdeten SeniorInnen, bei denen eine höhere Belastung des Gesundheitssystems bei rein medizinischer Betrachtung nicht ausgeschlosse n werden kann, macht nahezu ein Fünftel unserer Bevölkerung aus.

Während man für HeimbewohnerInnen wegen ihrer persönlichen Schutzbedürftigkeit sicherlich strengere Regeln aufstellen kann, gilt dies für aktive und gesunde Rentner und Rentnerinnen nicht. Missachtet man auf lange Sicht das Selbstbestimmungsrecht derer, die ja in eigenen Haushalten leben, werden sie sich die Lebensfreude in den aus ihrer Sicht unterschiedlich definierten letzten Lebensphase nicht nehmen lassen.

Für diese Altersgruppe erscheint es daher besonders angezeigt, die Diskussion auf breiter Front und Mitwirkung ihrer Gruppenvertretungen, aber auch der vielen Seniorengruppen vor Ort und im Quartier schnell zu starten. Wenn wir hier nicht die Betroffenen zu Beteiligten machen, gelingt ein sozial adäquates Social Distancing auf Dauer nicht.

Mit professioneller Unterstützung muss vor Ort um Verständnis geworben werden, nicht nur, aber auch für technische Hilfsmittel wie die App, aber auch für andere Formen der Begegnung etc. Der Städtetag empfiehlt, das bereits bestehende Konzept Quartier2020 diesen Anforderungen anzupassen und Module zu entwickeln, die genau diesen Anforderungen gerecht werden und die Zivilgesellschaft in ihrer ganzen Breite einbeziehen. Denn über allem steht nicht immer der Schutz des einzelnen vor der Ansteckung. Die Grenze der Bewegungsfreiheit für alle, auch der Älteren, liegt in der Überlastung des Gesundheitssystems, nicht im absoluten Schutz. Führt man sich vor Augen, dass gerade die älteren Menschen mit ihren höchst unterschiedlichen Bedürfnissen gerade in dieser Hinsicht die entscheidende Bevölkerungsgruppe darstellen, lohnt es sich, hier besondere Mühe aufzuwenden – aus ethischen, gesellschaftlichen, epidemiologischen und letzlich sogar wirtschaftlichen Gründen.


Dr. Peter Kurz Gudrun Heute-Bluhm Oberbürgermeister Oberbürgermeisterin a.D. Präsident Geschäftsführendes Vorstandsmitglied